Schützenfest

Vier Tage lang war jedes Jahr der Alltag in Thüste außer Kraft gesetzt. Schützenfest war Ausnahmezustand. Jedes Jahr ausgerichtet von den Vereinen, begann es am Freitagabend mit dem ‚Kommers, einer ernsten Angelegenheit bei der die Würdenträger des Ortes ausgezeichnet wurden und endete am Montag mit einem ausgiebigen Katerfrühstück, mit dem das Schützenfest ‚beerdigt’ wurde.

Schon während der Vorbereitungen kribbelte die Aufregung wie Ameisen im Magen. Die Straßen wurden mit Birken und Girlanden geschmückt, große Holztore wurden darüber errichtet und der große Umzug vorbereitet. Unter blumenverzierten Weidenbögen würden Kinder als Märchengestalten verkleidet mit marschieren. Wer sollte Träger sein? Und wer das Rotkäppchen? Kostüme wurden genäht und geändert, Fahrräder aufs Schönste verziert und der Kutschwagen geschmückt, auf dem traditionell die älteren Herren hinter dem Umzug hergefahren wurden.   

Zunächst in der Wiese bei Behring, am Ortseingang von Weenzen herkommend, später in Randolfs Wiese wurden die Buden aufgebaut. Der Kellerwirt aus Wallensen verlieh sein Festzelt, ein Kinderkarussell mit Autos und Motorräder entstand und ein Kettenkarussell.

„Ich bekam neue Schuhen, feine Kniestrümpfe und ein neues Kleid aus hellblauem Taft mit Volants und Schleife. Wenn ich damit Karussell fuhr und mein Rock wehte im Wind, kam ich mir vor wie Cornelia Froboess im Film.“

Es gab Schieß- und Wurfbuden, Fischbrötchen, in der damaligen Zeit etwas ganz Besonderes, und Süßigkeiten, die jedes Kinderherz höher schlagen ließen. Vanille-Eis und Schoko, Lebkuchenherzen und Waffeln aus Esspapier.

Eine Tanzkapelle sorgte im Zelt bis in die frühen Morgenstunden für Stimmung und an der Theke war es gedrängelt voll.

„Aber das machte nichts, man warf sich einfach ins Gedränge und hielt die Hand hoch. Die Biere wurden dann schon nach hinten durchgereicht.“

Ebenso voll wie die Theke war die Tanzfläche. Die Männer hatten strikte Anweisung die Damen ihres Herzens beim Tanz nur mit dem Daumenrücken zu berühren. Schließlich sollten deren frische weiße Blusen nicht gleich wieder schmutzig werden.
Auf den erst kurz zurückliegenden Krieg und die Theke führten ab und an zu Männermangel auf der Tanzfläche. Doch die Frauen wussten sich zu helfen und tanzten einfach miteinander.
Bei anderen Dingen waren die Männer dann aber doch wieder unbedingt notwendig. Eine alte Thüster Bauernregel besagte:
„Wenn Schützenfest im Juli war und die Stiegen auf den Feldern standen, gibt’s im nächsten Jahr viele Kinder.“

Das war die eine Art sich näher zu kommen. Die andere war eine zünftige Prügelei, die zu jedem Schützenfest einfach dazu gehörte. Meistens wurde ein schöner Grund gesucht, damit man sich mit den Besuchern aus anderen Ortschaften handfest in die Haare kriegen konnte. Und wenn der sich so einfach nicht finden ließ, gab es auch Erwachsene, die die Kinder gegeneinander aufhetzten, um den Einstieg zu finden.

„‘Packt Euch!‘ hat er uns immer zugerufen, wenn er besoffen war. ‚Los, packt Euch!‘ Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen.“

Ob betrunken, geprügelt oder geküsst, irgendwann ist die Nacht zu Ende und mit dem Morgen fangen die Vögel und der Milchwagenfahrer Heuer wieder an zu arbeiten.

„Er hat die Kannen auf den Wagen gehoben und wir haben sie auf der anderen Seite wieder abgeladen, bis er uns erwischt hat. So wars beim Schützenfest.“

War es ein Wunder, dass nach diesen herrlichen Vorbereitungen über drei wundervolle Tage das Katerfrühstück am Montag seinem Namen alle Ehre machte? Die Geschäftsleute spendierten die Getränke und man traf sich ein letztes Mal, um ‚das Schützenfest zu beerdigen‘.

„Man hängte sich die Tischtücher um, das Pferd bekam eine lange Unterhose an und die Erwachsenen zogen weinend durchs Dorf. Homann wurde in die Schubkarre gesetzt und in die Miste gekippt und danach sind wir alle zu Glenewinkels zum Frühstück gegangen. Beutelwurst essen.“